Zum Vergleich: Der Sieger bei den Profis, Carlos Sastre, brauchte knapp 88 Stunden, allerdings verteilt auf 23 Tage, darunter zwei Ruhetage. Da und dort war zu lesen, Guido Kunze wolle „schneller” sein als die Profis. Aber nur, wenn man bloß die Tage zwischen Brest und Paris zählt, kann man diesem Missverständnis aufsitzen. Für die Strecke brauchte er fast doppelt so lang wie die Profis, aber er hängte Etappe an Etappe, knapp 3 in 24 Stunden in den ersten Tagen von Tour total, dann 2 Etappen pro 24 Stunden. Nicht „schneller” wollte er sein und war er, sondern er wollte die gesamte Tour de France in seinem Rhythmus absolvieren, gerade um zu zeigen, dass ein gut trainierter Amateur keine Angst vor der Länge einer Etappe oder der Steigung der Pässe haben muss, wenn er die Etappe in seinem Tempo unter die Räder nimmt. Schon bevor er losfuhr, hatte Guido erklärt, dass die Diskussion um kürzere Etappen bei Rundfahrten und um weniger oder flachere Pässe als Instrument der Bekämpfung von Doping verfehlt sei. Vielmehr müsse man sich fragen, wie sinnvoll es ist, immer neue Geschwindigkeitsrekorde zu feiern.

Schneller als die Profis war Guido nicht, aber weniger spannend als die „große” Tour war Tour total ganz sicher deshalb nicht. Allein die Frage, ob Guido am Ende im selbst festgelegten Zeitraum von 10 Tagen durchkommen würde, sorgte für genauso viel Spannung, als wenn er sich gegen andere hätte durchsetzen müssen. Zumal die Zeit ein viel unerbittlicherer Gegner ist als jeder Radprofi oder -amateur.

Schneller als die Profis war Guido nicht

Nach etwa 230 Stunden zwischen Brest, 17.07., Mitternacht und Paris, 26.07., spätnachmittags stand fest: Man kann die Tour als Ultramarathon fahren, ohne zu verbotenen Mitteln und Methoden zu greifen. Nur rund 8.000 bis 10.000 Kalorien täglich mussten die Begleiter Guido irgendwie beibringen, nebst Koffein in Form von Kaffee und koffeinhaltigen Energieriegeln und -gels, vor allem zwischen 04.00 Uhr und 05.00 Uhr. Energieriegel und -gels machten einen Teil der Kalorien aus, aber Pasta, Gnocchi, Couscous in diversen Variationen sorgten für den Großteil der Energiezufuhr. Zu den Herausforderungen für das Team gehörte, Einkauf und Zubereitung irgendwie zwischen zwei Zwischenstopps des Wohnmobils zu packen. Was dabei herauskam, v.a. dank der kulinarischen Kreativität von Heike Ackermann, wird vielleicht sogar demnächst als Beitrag zum Kochbuchmarkt vorliegen, unter dem Titel „Extremausdauerkochen”, von buntem Gemüsecouscous bis zu gebratenen Bananen an Papayascheiben.

Nonstop-Tour eine Herausforderung
Auch für die Begleiter war die Nonstop-Tour eine Herausforderung, denn selbst wenn man nicht in die Pedale tritt, müssen 14 bis 18 Stunden pro Tag, die man ganz buchstäblich auf Achse ist, erst einmal bewältigt sein. Erst gegen Ende der Alpen, als klar wurde, dass Guidos Aktion normalerweise Erfolg haben würde, entzerrte sich der Zeitplan etwas. Thomas Ackermann und Ahmed Eltahir als Fahrer des Begleitfahrzeugs, Rebecca Eltahir und Marco Rühl als Bediener von Navigationsgerät, Atlas und Marschtabelle mussten sich auch die eine oder andere Nacht um die Ohren schlagen; die einen stets hoch konzentriert und dicht hinter dem Rad, um dem vorausfahrenden Guido die Strecke auszuleuchten, ohne ihn über den Haufen zu fahren; die anderen manchmal im Kampf mit Navigationsgerät und Atlas, weil beide nicht so recht zur Marschtabelle und den Wegweisern am Straßenrand passen wollten. Dabei wurden die Begleitteams so „durchgewechselt”, dass alle mal tags, mal nachts unterwegs waren und die mythischen Anstiege und spektakulären Etappen der Tour sich gerecht auf alle verteilten.
 
Zu Guidos Verdiensten, neben der sportlichen Leistung, gehört es, dass er auch für Zusammenhalt im Team sorgte, Lagerkoller erfolgreich verhinderte und gute Laune und Zuversicht verbreitete, wenn mal einer nicht stressfest genug war.

Seine sportliche Leistung spricht für sich
Seine sportliche Leistung spricht für sich, und wenn die Pyrenäen und die Alpen Spuren hinterließen, so doch keine allzu schlimmen. Aus früheren Extremherausforderungen hatte Guido in der Vorbereitung die richtigen Schlüsse gezogen und kam deshalb, wie er selbst sagt, „körperlich viel besser durch, als ich erwartet hatte”. Auch wenn der Sattel sich je länger, desto stärker bemerkbar machte, bestand nie Gefahr, dass er wegen Wundstellen am Hintern aufgeben muss, wie beim letztjährigen Rekordversuch quer durch Australien. Nennenswerte Verspannungen im Schultergürtel gab es ebenfalls keine, die Muskulatur hielt und auch wenn phasenweise der vordere Umwerfer Ärger machte und nachjustiert werden musste, gab die Radtechnik keinen Anlass zu ernster Sorge. Nicht ein einziger Schlauch musste gewechselt werden. Und auch von Stürzen und Verletzungen blieb Guido verschont.

Zu kämpfen hatten er und sein Team nicht so sehr
Zu kämpfen hatten er und sein Team nicht so sehr mit den Unwägbarkeiten der Ausdauerleistung selbst, sondern mit dem eigenen Anspruch, die Originalstrecke der Tour abzufahren. Die Tücken der Streckenführung waren vielleicht ein wenig unterschätzt worden. Es gab ganze Etappen, die fast ausschließlich über Nebenstrecken führten, manchmal 40 und mehr Kilometer lang ohne Ortsdurchfahrt. Auch wenn größere Umwege und Falschfahrten vermieden wurden, so brach doch jede Umkehr, jeder Stopp, um ganz sicher zu gehen, dass man richtig abbiegt, den Rhythmus. Es ist schon ein Unterschied, ob das Profifeld über bestens ausgeschilderte, abgesperrte und von Zuschauern gesäumte Straßen rollt oder man sich selbst zwischen drei Kreuzungen entscheiden muss, an denen insgesamt nur ein Wegweiser steht, auf dem jedoch keines der erwarteten Zwischenziele vermerkt ist.

Das Wetter spielte fast immer mit, und das war, so Guido
Das Wetter spielte fast immer mit, und das war, so Guido, einer der Gründe des Erfolgs: „Zum Glück war gerade in den Alpen gutes Wetter. Ein Tag mit Dauerregen und Kälte bei mehreren Pässen jenseits der 2000 m hätte das Aus sein können. Außerdem war die Strecke eindeutig, so dass uns Hin-und-her-Fahren und Weg-Suchen erspart blieben.” Nach dem zwei Schlechtwettertagen in den Pyrenäen hatten alle vor der Serie von HC-Bergen, die die Parcoursmacher sich für die Alpen ausgedacht hatten, gehörig Respekt. Bonette über 2800 m, Agnel über 2700 m, Galibier über 2600 m, Lombarde über 2300 m: schlechtes Wetter hätte da oben sogar Schnee bedeuten können. Aber die Sorge erwies sich bei strahlendem Sonnenschein und Nachttemperaturen von über 20°C im Tal und 12 - 15°C auf den Pässen als unbegründet. Angekommen in Paris waren wir uns einig, dass die Nonstop-Variante der Tour de France zwar fast 2000 km kürzer als das Race Across America ist, aber ähnlich anspruchsvoll, vielleicht sogar anspruchsvoller. Denn zur langen Strecke kam bei Tour total die Aneinanderreihung von Höchstschwierigkeiten im Hochgebirge hinzu, die es bei klassischen Ultrastrecken nicht in demselben Maße gibt.

Es gab drei ganz große Höhepunkte bei dieser Tour:
Direkt nach dem Abschluss nach seinen bleibendsten Eindrücken befragt, sagte Guido: „Es gab drei ganz große Höhepunkte bei dieser Tour: die Ankunft in l'Alpe-d'Huez, weil ich da, nach den drei schweren Alpenetappen, wusste, dass ich es schaffen würde; das Zeitfahren zwischen Cérilly und Saint-Amand-Montrond, weil ich da direkt nach dem letzten Profi auf die Strecke ging und so gewissermaßen im Peloton mitfuhr; und die Champs-Élysées, weil es ein unvergleichliches Gefühl ist, über die Strecke zu gehen, wenn bereits alles für das große Finale vorbereitet ist und einem die Zuschauer zujubeln.”

Am Ende sind die Anstrengungen fast vergessen
Am Ende sind die Anstrengungen fast vergessen, und Guido kommt dann doch das Klischee über die Lippen: „In Paris angekommen zu sein, ist Belohnung für all die Strapazen zuvor.” Anders als bei bisherigen Ultrastrecken habe er die Tour de France nicht nur nonstop fahren wollen, um sich der Herausforderung zu stellen, sondern auch, um eine Botschaft zu vermitteln, um zu zeigen, dass auch das „schwerste Radrennen der Welt”, wie es sich selbst gern nennt, sauber durchzustehen ist. Statt endloser Diskussion und Absichtserklärungen wollte Guido Taten sprechen lassen und Beispiel setzen im Kampf für einen sauberen Sport. „Es geht mir darum, gerade im Breitensportbereich, gerade beim Nachwuchs zu zeigen, dass es auch sauber geht. Es gibt schon viel zu viele, die sich damit abgefunden zu haben scheinen, dass man nachhelfen muss, um Leistung zu bringen. Und wo Leute den Weg des geringsten Widerstands zu gehen bereit sind, ist es dann besser, zu handeln als zu reden.”

Am Ende hat er die Herausforderung gemeistert
Am Ende hat er die Herausforderung gemeistert. Am Ende hat er erfolgreich gehandelt. Er hat die 12 Tage Rückstand, die er in Brest noch hatte, wettgemacht und kam sogar vor den Profis in Paris an. Entsprechend positiv fällt sein Fazit aus: „Ich habe gezeigt, was ich zeigen wollte, die Botschaft rübergebracht, dass Ausdauerleistung ohne Doping möglich ist. Die Unterstützung durch mein Begleitteam war optimal, obwohl es in dieser Konstellation noch nicht zusammengearbeitet hatte. Und auch wenn ich die Anstrengungen natürlich spüre, fühle ich mich viel besser, als ich erwartet hatte.”

Wir sagen danke für ein beeindruckendes Erlebnis und herzlichen Glückwunsch.